19. September 2022

Zeitgenössischer Zirkus – Ein Besuch

Vorhang auf – Manege frei! Rote Clownsnasen, Tänzerinnen und der Tusch zwischen den Zirkusnummern sind mir noch aus Kindertagen im Gedächtnis. Unvergessen der Duft von Zuckerwatte und Popcorn. Das ist viele Jahre her und seitdem hat sich der Zirkus sehr gewandelt. Der Ort, das Zirkuszelt, ist geblieben.

Die Magie, die mich schon als Kind gepackt hat, spüre ich, als ich vor die Manege trete. Aber, es wird hier und heute keine Tiernummern oder klassische Clowns geben. Was erwartet mich? Experimentell, kreativ und überraschend wird es. Das haben meine Recherchen ergeben. Ich entdecke ein Trapez. Es hängt von der Zirkuskuppel herab. Welche Rolle spielen die Äpfel?

Die Zuschauerbänke füllen sich rasch bis auf den letzten Platz mit interessierten Menschen und Euphorie. Alles Fans des Zeitgenössischen Zirkus. Es wird dunkel und das Publikum verstummt. Eine fantastische Reise beginnt ...

Nach dem CircusDanceFestival am 14.11.2021 im Theater- und Zirkuspädagogischem Zentrum Latibul Köln, fragte ich Jenny Patschovsky, 1. Vorsitzende Bundesverband Zeitgenössischer Zirkus:

„Was erwartet den Zuschauer im Zeitgenössischen Zirkus?“

„Die Zuschauenden erwartet immer etwas anderes, denn die Stücke des Zeitgenössischen Zirkus sind unglaublich vielseitig. Sie sind leise und minimalistisch oder poetisch und verspielt oder wild und politisch. In jedem Fall haben sie etwas zu sagen und das tun sie unmittelbar und mit voller Wucht - denn alles, was im Zirkus passiert, ist echt! Die körperliche Spannung der Artist:innen wird übertragen und trägt darüber auch die Konzepte, die gesellschaftlich relevanten Themen oder ästhetischen Fragestellungen, die den Stücken zu Grunde liegen. Der Zeitgenössische Zirkus ist oft nonverbal, seine Sprache ist visuell und körperlich und das macht ihn offen für ein breites und diverses Publikum.“

Im Zeitgenössischen Zirkus greifen traditionelle Zirkusdisziplinen wie zum Beispiel Akrobatik, Tanz, Musik, mit Performance Art und den Medienkünsten ineinander. Sie überschreiten deren Grenzen, verschmelzen mit- oder distanzieren sich voneinander. Eine neu geschaffene Kunstform, die aus dem klassischen Zirkus hervorgegangen ist. Die Artist:innen entwickeln neue Ausdrucksmittel und -wege, die visuell und nonverbal in ein dramaturgisch-ästhetisches Gesamtkonzept eingebettet sind. Sie erzählen von ihren Gefühlen, fügen biografische Elemente ein und entwickeln ihre Geschichte, die sie kunstvoll vor dem Publikum entfalten.

Eine neue Kunstform? Der Zeitgenössische Zirkus reift zur eigenständigen Kunstform heran, die mit Innovationen überrascht und jedes Mal anders fasziniert. Aus der Tradition heraus entspringt permanent Neues, Unvorhersehbares, forschend und nicht enden wollend. Aus dem klassischen Zirkuszelt heraus, sich neue Räume erschließend, das Unmögliche möglich machend. In der fortlaufend experimentellen Auseinandersetzung mit anderen Kunstformen ist er auch der Zirkus der Zukunft.

Wie ist der Zeitgenössische Zirkus entstanden? Der Neue Zirkus, der im späten 20. Jahrhundert aus den Ursprüngen des traditionellen Zirkus entstanden ist, hat seine Anfänge in Frankreich als Cirque Nouveau, Nouveau Cirque genommen und sich in den letzten Jahrzehnten zum Zeitgenössischen Zirkus Cirque Contemporain entwickelt. Auf der Basis traditioneller Zirkuskunst setzt der Zeitgenössische Zirkus unter anderem theatralische und akrobatische Formen in der Live-Performance professionell ausgebildeter Artisten ein. Diese spartenübergreifende Zirkuskunst hat sich zu einer individuellen Ausdrucksform der Künstler:innen entwickelt, deren Vielfalt heute charakteristisch für dieses Genre ist.

Der Zeitgenössische Zirkus ist in Deutschland erst noch in den Anfängen. Immer mehr kreative Künstler:innen entdecken und schätzen die Gestaltungsmöglichkeiten in der Darstellung und Performance der neuartigen Zirkuskunst.

Wer sind die Artist:innen? Die Performer sind Menschen, die im künstlerischen Element ihr Herz sprechen lassen. Das Gesamtmoment der stark ausgeprägten körperlichen und visuellen Sprache der Künstler:innen hat eine fesselnde emotionale Strahlkraft und Lebendigkeit, die nicht nur unterhält, sondern zutiefst sinnlich erfahrbar und berührend ist.

Die Künstler:innen haben ihren Ursprung in unterschiedlichen Genres und verschmelzen zum Gestalter und Bindeglied zugleich im Gesamtkunstwerk. Dabei bedienen sie sich der verschiedenen Zirkuskünste mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Künstler:innen verfügen über eine individuelle Formensprache, die sich in der Gesamtästhetik und im Story-Telling des Auftritts zeigt. Somit ist das Spektrum der Darstellungsperformance und der -formate schier unerschöpflich.

Der Vorhang fällt – das Licht erstrahlt! Die Reise endet hier. Unsere Herzen kehren zurück auf unsere Plätze; beschwingt von der Musik der aufeinanderschlagenden Hände, die den Künstler aus der Manege hinausbegleiten.

Bis zum nächsten Mal im Zeitgenössischen Zirkus.

Claudia Satory
Autorin
www.claudiasatory.de