05. September 2022

Literatur - Ein Spaziergang

Achtung, ein Hund! Wie schnell ist man in eine Leine gewickelt. Und wie schnell vor ein Fahrrad, ein Auto gelaufen, deshalb hier bitte stehen bleiben! Gut so. Wir gehen spazieren, und in Köln braucht man offene Augen dafür. Offene Ohren sind noch viel besser, denn es geht durch die Landschaft der Literatur. Die ist weitläufig in dieser Stadt, hügelig und voll versteckter Schätze. Man findet sie zum Beispiel in traditionsreichen unabhängigen Buchhandlungen, von Bittner über Lengfeld’sche bis Goltsteinstraße. Und eigentlich braucht man alle Sinne dafür, wie will man sonst den Feenstaub einatmen, der aus den Klassikern in den Stadtteilbibliotheken steigt? Am wichtigsten natürlich: Der Sinn für Poesie. Denn der verlangt nach Dichter:innenstunden, sei es im Literaturklub der Kneipe Wohngemeinschaft, bei Hellopoetry! in der Lichtung, bei Land in Sicht im Kulturraum 405 in Ehrenfeld. Letztere lässt neben Lyrik auch Prosa zu Wort kommen – und überhaupt spiegelt sich die ganze Vielfalt des gegenwärtigen Schreibens in den gegenwärtigen Lesereihen. Und zwar so schillernd, dass man schon mal vom Weg abkommen kann, also Vorsicht!

Hier entlang: Wir schauen mindestens einmal beim Literaturhaus Köln vorbei, das im Haus Bachem Autor:innen aus aller Welt auf die Bühne bittet und dabei nie die Szene vor Ort vergisst. Mit der Stadt hat es deshalb auch den Schreibraum eingerichtet, ein Co-Working-Space für literarische Urheber:innen von hier. Neben dem interkulturellen Autorencafé fremdwOrte und dem altehrwürdigen Literatur-Atelier ist dies der Platz für die Werke von morgen. Und wir können wenigstens einmal durchs Fenster spähen, wer gerade ein Kinderbuch abschließt, ein Drehbuch angeht, ein Sachbuch verwirft, wer mit seinen Sätzen hadert und mit dem Übersetzen als solchem. Denn auch Übersetzer:innen gibt es in der Domstadt reichlich, Verfasser:innen von graphischen Erzählungen – und Student:innen, die sich praktisch und kreativ mit dem Schreiben befassen, dank entsprechender Ausbildungsmöglichkeiten an der Universität und der Kunsthochschule für Medien. Bevor wir aber dort noch auf einem Campus hängenbleiben, überqueren wir mal flugs den Rhein. Für die meisten Bewohner:innen der Stadt ein Riesenaufwand, im Text gelingt so etwas spielend, ein Hoch auf den Text!

Denkt man sich auch im Mühlheimer Limes, wo der Slam ohne Grenzen dem linksrheinischen Dichterkrieg im Sonic Ballroom oder The Word is not enough im Blue Shell Paroli bietet. Wer lieber liest statt lauscht, schaut in die neue KLiteratur-Zeitschrift, wer leise Töne lauten vorzieht, ist beim Europäischen Literaturfestival Köln Kalk womöglich noch besser aufgehoben.

Überhaupt, die Festivals! Davon gibt es längst nicht nur, aber natürlich auch die lit.COLOGNE, die sich als Europas größtes Literaturfestival positioniert. Die Crime Cologne zielt auf spannungsgeladene Narrative, die Poetica wirft den akademischen Blick aufs Buch, das Satelliten-Festival bindet Wort und andere Kunstformen zusammen, Insert Female Artist verschreibt sich Diversität und Debatte, stimmen afrikas dem afrikanischen Kontinent.

Aber vielleicht haben wir nun zulange ins Scheinwerferlicht gestarrt, vielleicht ist es Zeit für schummrige Privaträume? Literatur in den Häusern der Stadt öffnet Salons für Passagen, die gehört gehören, zwischen/miete nrw bringt sie in studentische WGs. Und Heimspiel trägt die literarischen Stimmen der Stadt in die Schulen, erst recht solche, die Kölner Preise bekommen haben – das Rolf-Dieter-Brinkmann-, das Dieter-Wellershoff-Stipendium, den Heinrich-Böll-Preis. Nicht zuletzt in solchen Namen klingt reiche literarische Tradition.

Bevor wir uns aber auf glitzernden Rathaus-Galas verzetteln, sehen wir lieber noch einmal bei den Verlagen vorbei. Die freuen sich schließlich über soviel Vermittlungs-Engagement, ob der große Kiepenheuer & Witsch am Hauptbahnhof oder die kleine parasitenpresse im Belgischen Viertel, ob der DuMont Buchverlag auf der einen oder die Bastei Lübbe AG auf der anderen Rheinseite. Hoppla, jetzt sind wir schon wieder über den Fluss gehüpft! Hoffentlich wird niemandem schlecht?

Wenigstens schwindlig machen schließlich all die Lese-, Schreib- und Veranstaltungsorte, die auf diesem Rundgang noch fehlen. Vom Bretterpodest bis zum Sendesaal, vom Buchblog bis zur Großraumredaktion haben wir noch haufenweise Groß- und Kleinode ausgelassen, und wie kann es sein, dass Ein Buch für die Stadt noch keine Erwähnung gefunden hat, die Kölner Literaturnacht, der Literarische Salon und viele mehr?

Eigentlich wollten wir die Sinne ja beisammen halten, aber zum Glück laufen all die Anlaufstellen (hoffentlich!) nicht weg – und so empfiehlt’s sich, zwischendurch innezuhalten, durchzuatmen, vielleicht den Blick zu senken, vorzugsweise in ein gutes Buch. Davon sollte inzwischen das ein- oder andere in der Tasche gelandet sein. Nur nicht allzu lang aufgeschlagen lassen, sonst verliert man sich auch darin gleich wieder. Achtung, ein Hund!

Tilman Strasser
Autor